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„Always in-between“

Bauen auf Sarajewo

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Sead Golos, Amir Vuk, Srdja Hrisafovic:
- Sarajewo blickt auf einen 10-jährigen Krieg zurück. Habt ihr selbst diese Zeit in Bosnien verbracht?
- Amir Vuk: Die halbe Bevölkerung Sarajewos war damals auf der ganzen Welt verstreut. Teilweise ist es immer noch so. Bosnier leben in Asien, Europa und Amerika. Das hat auch Vorteile: Wir finden auf der ganzen Welt einen Schlafplatz. Während des Krieges war ich mit meiner Familie allerdings in Vancouver.

Srdja Hrisafovic: … und ich kam vor zwei Jahren aus Neuseeland zurück, Sead ist in Sarajewo geblieben.
- Viele sind aber, wie ihr, wieder nach Sarajewo zurückgekommen?
- A. V.: Ja. Und sie kommen immer noch zurück. Zumindest im Sommer. Dann ist Sarajewo anders als andere Städte. Es stirbt nicht aus, sondern die Einwohnerzahl verdoppelt sich fast. Das wirkt sich stark auf die Umgebung aus, weil jeder, der von außen kommt, Ideen und Wissen mitbringt. Dadurch werden wir animiert, unsere Identität zu finden und aufzubauen. In den Sommermonaten wird das fast spürbar. Die Diskussionen sind dann intensiv und sehr emotional.

Sead Golos: Alle kulturellen Veranstaltungen, wie das Film- und Theaterfestival, finden im August statt. Nicht nur die Stadt boomt dann, auch das Programm. Das kann nur passieren, weil es einige private Initiativen gibt. Vor allem unsere Generation nimmt das in die Hand.

A. V.: Das Image Sarajewos ändert sich auch durch unsere Kinder. Meine etwa führen ein sehr modernes urbanes Leben und verfolgen alles, was in der Welt passiert. Sie sprechen englisch, bosnisch, deutsch. Wir sind alle schon an andere Orte und Plätze dieser Welt gereist. Vor dem Krieg waren wir ein freundliches, mediterranes Volk, das seinen Tag gerne außerhalb des Hauses verbringt.
- Das heißt, euer Leben ist sehr südländisch?
- A. V.: Manches ist wieder wie vor dem Krieg. Wenn man in Sarajewo lebt, lebt man in Restaurants und Cafés. Wir telefonieren nicht, wir treffen uns.

S. H.: Wenn ich meine Kollegen finden will, weiß ich genau wo. Das Leben und die Gespräche sind sehr persönlich gehalten. Aber was wir brauchen, ist eine Fachdiskussion auf einer höheren Ebene. Die existiert in Sarajewo nicht. Früher hatten wir ein Zentrum für Architektur im Zentrum der Stadt. Übrigens nannten wir es das „Österreich-Haus“, da es von der österreichischen Regierung für die Olympiade 1984 errichtet wurde. Leider wurde es im Krieg völlig zerstört.

A. V.: Es gibt nun wieder Initiativen, ein Haus für Architekten zu errichten. Vieles geht aber noch langsam in Bosnien. Schließlich haben wir durch den Krieg zehn Jahre verloren.

S. H.: Wir drei haben eine unabhängige Architektenvereinigung in Sarajewo mitbegründet, bei der alle – ungefähr 500 – Architekten aus Sarajewo Mitglieder sind, auch diejenigen, die für staatliche Organisationen arbeiten. Alle arbeiten ehrenamtlich. Die Regierung Bosniens subventioniert Kultur nicht.
- Sind viele Strukturen aus dem Sozialismus übrig geblieben?
- A. V.: Man sollte uns etwas Zeit geben. Zuerst muss unser Volk lernen einen Staat zu managen. Unsere Gesetze und Regeln kamen bisher immer aus Istanbul, Belgrad und früher aus Österreich.

S. G.: Die Regierung hat viele Bereiche zu detailliert durchgeplant, zudem zu bürokratisch. Um ein Gebäude in Sarajewo zu errichten, braucht man sage und schreibe zwanzig Bewilligungen.

S. H.: Vieles wird zu zentralisiert organisiert. Unser Denken ist strukturell sicher noch ein sozialistisches. Die Geschichte kann man nicht so schnell hinter sich lassen.

S. G.: Schwierig stellt sich unser System für ausländische Investoren dar. Die kommen mit fertigen Projekten und wollen so schnell wie möglich bauen. Unsere Stadtplanung hat aber jedes Grundstück kategorisiert, ihm eine Funktion zugeordnet, die Höhe und die Größe. Alles ist vordefiniert. Wenn man also eine Schule statt eines Supermarktes bauen will, kann man das nur, wenn man diesen Stadtplan ändert. Um das zu erreichen, braucht man nicht nur viel Geld, sondern es dauert mehr als zwei Jahre.
- Aber möglich ist es?
- A. V.: Prinzipiell ist alles möglich in Bosnien. Deswegen fangen die Leute an die komischsten Ideen zu entwickeln, die oft an der Realität vorbeigehen. Das Problem der zentralistischen Planung ist aber, dass sie nicht vorausschauend agiert. Es werden immer nur Probleme gelöst, die gerade offensichtlich geworden sind. Für uns wäre eine teils privatisierte Stadtplanung ideal, zusätzlich zur strengen staatlichen Stadtplanung. Für mich ist für die Zukunft wichtig, dass die urbanen Strategien sich so gestalten, wie es die Realität verlangt.

S. H.: Dass ausländische Investoren immer mit dem fertigen Projekt kommen, ist natürlich auch ein imperialistisches Verhalten. In gewisser Weise Kolonisation! Wir erwarten aber Respekt. Die vielen österreichischen Banken, die in Bosnien bauen, machen das ganz gut und investieren auch in Infrastruktur.
- Wie geht Bosnien mit der Privatisierung des Landes um?
- S. G.: Vor drei Jahren hat auch bei uns die Privatisierung begonnen und geht natürlich noch weiter. Das betrifft vor allem Firmen und Fabriken. Das Land befindet sich immer noch vollkommen im Besitz des Staates. Die Privatisierung ist für uns als ehemaliger Teil eines sozialistischen Staates ein sehr schmerzhafter Prozess.

A. V.: Im früheren Jugoslawien hatten wir eine zentral organisierte Städteplanung, die kollektive Appartements und alle Bauunternehmungen im Land kontrollierte. Nun wollen die Leute zeigen, dass sie Geld haben, und bauen ihre protzigen Häuser. Das passiert hauptsächlich in den Randgebieten von Sarajewo, wo mittlerweile ein ganzer Ring an neuen Häusern entstanden ist. Die meisten sind nicht von besonders hohem Niveau.

S. H.: Das größte Problem in diesen Stadtteilen ist das Fehlen einer Infrastruktur – und das fängt in manchen Gebieten schon bei der Wasserversorgung an.

Überwiegt trotz Privatisierung die staatliche Kontrolle?
A. V.: Alles ist unter Kontrolle, irgendwie. Das Schwierige ist, dass wir Baugesetze besitzen, die zum Teil von deutschen oder österreichischen Modellen übernommen wurden. Doch im Alltag zeigt sich oft, dass sie nicht durchführbar sind und nicht der Realität entsprechen. Soziale Bauten, Krankenhäuser und Schulen werden etwa ausschließlich vom Staat errichtet.
- Gibt es ein städtebauliches Konzept für das Wachstum der Stadt?
- S. G.: Vieles muss rekonstruiert werden oder wird deswegen neu gebaut. Aber das ist eine politische Frage. Wichtig sind die Infrastruktur, die Autobahn und eine direkte Verbindung nach Budapest. Und dort werden dann solche Shoppingmalls gebaut, wie man sie auch entlang der Autobahn in Vösendorf bei Wien findet.
- Man lernt also nicht aus den Fehlern der anderen?
- S. H.: Natürlich hätten wir die Chance, viele Fehler nicht nachzumachen, aber wir lernen nicht aus der Geschichte und wollen jetzt einfach dasselbe haben. In diesem Sinne sind unsere Langsamkeit und das Fehlen von großen Investoren manchmal auch gut: Wir sparen uns Ressourcen auf.
- Bosnien ist ein junges Land mit einer neuen Hauptstadt. Wie definiert sich die Nation kulturell und politisch?
- S. H.: Im Ausland ist Bosnien sicher noch ein verdächtiges Land. Natürlich sehen wir die Fehler, aber man muss trotz allem an die Zukunft glauben. Und daran arbeiten.

A. V.: Für Bosnien ist es wichtig, ein kollektives Bewusstsein zu schaffen und eine kulturelle Identität. Wir gehörten zu Jugoslawien, zu Österreich und zur Türkei. Jetzt sind wir bosnisch. Doch was ist wirklich bosnisch? Was wollen wir? Was haben wir anzubieten? Prinzipiell sind die Voraussetzungen gut und alle Ressourcen vorhanden.

S. G.: Sarajewo ist nicht von den Menschen, die die Stadt bewohnten, gestaltet worden. Das ist generell ein Problem auf dem Balkan. Die Kriege haben die Städte von innen und außen zerstört. Sarajewo ist von 40.000 auf 500.000 Einwohner angewachsen – und das in kürzester Zeit. Es ist für uns ein Lernprozess, eine Stadt selbst zu managen.
- Welcher Kultur fühlt ihr euch als eine so multikulturelle Nation nahe?
- S. G.: Wir sind ein Staat mit vielen Völkern, aus vielen Nationen. Bosnien war immer dazwischen. Zwischen Ost und West – und das bleiben wir auch. Unser Einfluss ist definitiv östlich und türkisch. Wir glauben an diese Schönheit, und wenn wir diesen Mustern auch städtebaulich folgen können, sind wir die Gewinner!

A. V.: Unsere türkischen Häuser sind sehr spezifisch. Unser Architekturvater Juraj Neidhart hat das schon einmal ganz gut aufgearbeitet. Wenn man durch Sarajewo geht, hat man den Eindruck einer exotischen und bunten Stadt. Wenn man hier nur ein paar Meter spaziert, werden zahlreiche verschiedene kulturelle Einflüsse sichtbar. In Sarajewo liegen einfach viele Kulturen spürbar nebeneinander.

S. H.: Unsere modernen Häuser sind eigentlich Hybriden des türkischen Hauses und außerdem von einigen Einflüssen der Tschechen geprägt, die hier in den zwanziger Jahren gebaut haben. Leider sind wir oft nicht gut mit unserer Tradition umgegangen. Schöne Teile der Stadt sind verschwunden und verschwinden immer noch. Kulturell ist die Bevölkerung nicht besonders engagiert, viele schreckliche Häuser stehen nun herum. Aber das unterscheidet uns nicht von anderen Städten.
Artikel erschienen in: REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa, April 2004

Link: REPORT online - Link: archinform zu Sarajewo -